KeYNamM

by

Ruwen Rouhs





17 Udads Rache, Areksims Tod



Udad und seine Kumpane lagen gefesselt auf dem staubigen Boden im stockdunklen Untergeschoss der verlassenen Wohnburg. Sie lagen auf dem Bauch mit dem Gesicht nach unten und mussten mit der heißen und trockenen Luft auch noch den Staub einatmen, der sich in vergangenen Jahrzehnten auf dem Boden angesammelt hatte. Mit jedem Atemzug wirbelten sie den feinen Staub auf, der ihnen Nase und Lunge verstopfte.

In diesem Augenblick hasste Udad seine Kumpane. Für ihn waren, sie Feiglinge, die zu nichts anderem in der Lage waren, als mit der Nase im Staub zu röcheln und ihr Schicksal zu bejammerten, anstatt sich Gedanken über eine Flucht zu machen. Er, Udad, dagegen überlegte kaltblütig wie er der todernsten Lage entkommen konnte. Und Udad sann auf Rache!

Der Oberkapo hatte schon in jungen Jahren gelernt, dass Vorsorge besser als Nachsorge ist und auch jetzt hatte er ein Mittel parat, das ihm zur Flucht verhelfen konnte. Vorsichtig tastete er mit seinen freien Fingern den Saum am Ärmel seines weiten Gewands ab. Dort in einer Naht hatte er eine kleine Messerklinge versteckt. Die war nur so lang wie sein kleiner Finger, dünn wie Pergament, aber biegsam und scharf. Wenn er sie erst heraus bekommen hatte, wäre es für ihn leicht die Fesseln nach und nach durchzutrennen.

Während seine Kumpane stöhnten und fluchten, konzentrierte er sich auf seine Arbeit. Er zerrte mit seinen freien Fingern am Stoff bis er die Klinge fühlen konnte. Dann scheuerte er den Stoff solange über ihre Schneide, bis der aufriss und er die Klinge mit zwei Fingern fassen konnte. Noch längere Zeit benötigte er, um den groben Strick um das linke Handgelenk durchzuschaben. Als das endlich geschafft war, riss und zerrte er solange an den Fesseln, bis er erst die eine Hand, dann die andere Hand freibekommen konnte.

Udad triumphierte! Leise setze er sich auf und dehnte sich und ging die Möglichkeiten durch, die sich ihm boten. Sollte er sich allein davon machen? Sollte er die anderen los schneiden und mit ihnen zusammen fliehen? Verdient hatten sie es nicht. Er entschied sich für die zweite Möglichkeit, da seine Kumpane bestimmt die Wachen alarmieren hätten, wenn er sie im Stich lassen würde. Er kannte sie schließlich gut genug. Außerdem würde es einer Gruppe leichter gelingen zu flüchten und nach Tinghir durchzukommen.

Er schnitt einen seiner Kumpane nach dem anderen los. Dann befahl er ihnen die Seitenwände des Raums nach einem Ausgang abzutasten. Er selbst entschied sich für die Rückwand, da er in ihr den Durchgang zu den hinteren Räumen der Kasbah vermutete.

Weder an der linken noch der rechten Seitenwand war auch nur die kleinste Öffnung zu finden und der Durchgang an der Rückwand, den er schnell entdeckt hatte, war durch die herab gebrochene Decke verschüttet. Er kletterte auf den Schuttberg und hatte Glück. Er fand eine Lücke, zwängte sich durch und stand schon in dem dahinter liegenden Raum.

Seine Kumpane kamen nach und mit ihrer Hilfe stiegen sie durch ein Loch in der Decke in das darüber liegende Geschoss. Von dort aus tasteten sie sich durch ein Labyrinth von kleinen Kammern zur Rückseite der Wohnburg und standen plötzlich im Freien.

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Was Udad nicht ahnte war, dass kurz zuvor die Imuhaghzwillinge an der Rückseite des Wohnturms eingetroffen waren. Sie lauerten noch im Dunkeln, als das Geräusch rutschende Steine, die die fünf beim Verlassen der Wohnburg lostraten, sowie die geflüsterten Kommandos von Udad, sie alarmierten. Regungslos beobachteten sie, wie die Flüchtenden einen Pfad einschlugen, der an der Steilwand des Talkessels entlang zu seinem Ausgang führte. Sofort war den Brüder klar, dass wichtig war, die Flucht Udads und seine Kumpane zu verhindern. Sie warteten bis die Dunkelheit die Fünf verschlugen hatte, tasteten sich dann durch die dunklen Kammern zur Vorderseite der Wohnburg und begannen Steine aus der Fensterluke eines Raumes auf die Wachen zu werfen, der sich im Stockwerk über Udads ehemaligen Gefängnis befand. Als die Wachen nicht sofort alarmiert waren, versuchten sie mit halblauten Rufen deren Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Das hatte Erfolg. Die Wachen brachen die Tür zum Raum auf, in den sie die Gefangenen gesperrt hatten. Als sie die dort nicht fanden, alarmierten einer von ihnen den Feldhauptmann. Feldhauptmann Areksim ließ sofort Suchtrupps ausschwärmen, die das Talkessel durchsuchten und dessen Ausgang besetzen. Dort konnten die fünf Flüchtenden abfangen und trotz heftiger Gegenwehr festgenommen werden. Sobald die Jagd nach den Entflohenen begonnen hatte, verließen die Imuhaghzwillinge ihr Versteck in der Kasbah, aber nicht um zu Tarit und dem Amestan zurückzukehren, sondern sie versuchten dorthin zu gelangen, wo sie Areksim und sein Adjutanten vermuteten.

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Im Talkessel war es so dunkel, dass die Zwillingsbrüder davon ausgehen konnten, dass sie von den Wachen nicht als Imuhagh erkannt werden würden. Und wirklich, sie hatten Glück. Unbemerkt erreichten sie das Gestrüpp, dass um das Lager Areksims wuchs und konnten von dort beobachten, dass drei gefesselte Gestalten zur Mitte des Lagers gebracht, besser geschleift, wurden. Zwei schienen also entkommen oder getötet worden zu sein. Als einer der drei hinfiel, zerrten ihn die Soldaten einfach weiter durch den Sand und warfen ihm am Rand des Beckens zu Boden, der das Wasser der Quelle des Jnun sammelte.

Das kleine Feuer, das in der Mitte des Lagers brannte, loderte plötzlich auf und beleuchtete Feldhauptmann Areksim, der sich vor den drei Gefangenen aufgebaut hatte. Inzwischen hatten sich fast das gesamte Expeditionskorps um den Feldhauptmann und die Gefangenen geschart und verdeckte den Zwillingen die Sicht auf das folgende Geschehen teilweise. Da sie die Sprache des Imperiums nur ungenügend verstanden, konnten sie die folgenden Ereignisse nur schlecht verfolgen. Das nächste was sie aber mit bekamen, ließ es ihnen eiskalt den Rücken herunter laufen. Der Kreis um den Feldhauptmann vergrößerte sich plötzlich und zwei der Gefangenen musste sich vor ihm hinknien. Dann winkte der Feldhauptmann zwei seiner Männer heran, die ohne zu zögern ihre Dolche zogen und den Gefangenen die Kehle durchschnitten.

In der Stille die folgte, wandte sich Areksim dem dritten Gefangenen zu. Er hieß ihn aufstehen und ließ ihm die Fesseln abnehmen. Der eine der Zwillinge hatte diesen Dritten schon gesehen. „Es ist Udad!“ flüsterte er seinem Bruder zu und fragte dann, „Was soll das?“

Weder er noch sein Bruder verstanden warum Feldhauptmann Areksim so handelte. „Will er seine Männer beeindrucken? Will er damit einer Meuterei vorbeugen?“ Was dann geschah war noch seltsamer. Es folgte eine kurze, hitzige Auseinandersetzung, bei der Udad zunächst das große Wort führte. Er beschimpfte Areksim lauthals, beschuldigte ihn des Verrats am Imperator und dem Gouverneur. Soweit die beiden verstanden, war die Rede so angelegt, als würde Udad sie an die Truppe und nicht an den Feldhauptmann richten.

Areksim nahm das Benehmen Udads zunächst ungerührt hin, begann dann aber eine längere Ansprache, an seine Soldaten. Das war Areksims Fehler. Er wurde unaufmerksam und plötzlich sprang Udad vor, drückte Areksims Kopf mit einer Hand zurück und trennte ihm mit der kleinen Klinge, die er in der anderen Hand hielt, die Halsschlagader durch. Das Durcheinander, das nun ausbrach, dauerte nur kurz. Dann lag Udads Körper mit abgetrenntem Kopf neben dem sterbenden Feldhauptmann im Sand.

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Der Tot ihres Anführers lähmte die Truppe nur einen Augenblick. Areksims alte Kampfgefährten sammelten sich im Kreis um dessen toten Körper und nahmen sich an den Händen, als würden sie ihm ewige Treue schwören. Dann senkten sie die Köpfe und schienen ein Gebet zu murmeln. Nach kurzem Zögern holten sie die Fahne, die dem Expeditionskorps voraus geflattert war, und wickelten den Körper des Feldhauptmanns darin ein. Sechs seiner Getreuen nahmen das Bündel auf ihre Schultern und schlugen den Weg zur verfallenen Kasbah ein. Die übrigen Söldner folgten den Leichenträgern.

Die Imuhaghzwillinge wussten, dass bei der verfallenen Kasbah der alte Friedhof des Ksar der Jinns lag, ein kahles Feld mit Haufen aus faustgroßen Steinen. Jeder Haufen beschützte die Gebeine der Verstorbenen einer Familie. Sie gingen daher davon aus, dass die alten Kämpfer ein Grab anlegen wollten, in dem Areksim noch vor dem Morgengrauen bestattet würden.

Im Anschluss an das Begräbnis, begannen die Teilnehmer an der Strafexpedition, besonders die jüngeren Söldner, hektisch die Ausrüstung und Vorräte zusammensammeln, zu Bündeln zu schnüren, Wasserschläuche zu füllen und alles auf die Reitpferde und Tragtiere zu laden. Gerade als die Sonne über den Rand des Talkessels kletterte, verließen die ersten Söldner fluchtartig das Ksar der Jinns, zunächst nur in Gruppen von vier oder fünf, bald aber als größere Trupps. Die alten Kampfgefährten Areksims verließen die Stätte der endgültigen Niederlage als letzte und begaben sich als geschlossene Truppe auf den Rückweg zum Imperium. Die Zwillinge beobachteten dies, während sie sich durch die aufgeregte Menge zum Hohlweg drängten, ohne von den Männern, der geschlagenen Truppe als Feinde wahrgenommen zu werden.

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Tarit und KeYNamM waren unruhig geworden, als die Imuhaghzwillinge so lange nicht zurückkehrten. Erst recht stieg ihre Sorge, als sie von ihren Beobachtungsposten oberhalb der Nordkasbah, die Hektik im Lager des Expeditionskorps wahrnahmen. Sie berieten schon über einen Vorstoß zu ihrer Rettung, als am Eingang des Hohlweges das ausgemachte Signal, der Gesang der Wüstenlerche, aufklang. Tarit antwortete mit dem Geschrei des Wüstenfalken und nach einigen Momenten tauchten die Zwillinge unverletzt und in aufgekratzter Stimmung auf.

Tarit nahm ihren Bericht entgegen. „Damit ist also der große Feldzug des Gouverneurs gescheitert!“ verkündete er seinen Grenzsoldaten und den Imuhagh, die sich ihm zur Verteidigung ihres Territoriums, der großen, wilden Wüste, freiwillig zur Verfügung gestellt hatten. „Wir haben gewonnen! Jetzt ruht euch aus meine Freunde und schöpft neue Kräfte. Nach einem Bad in der Quelle des Jnuns werden wir uns am frühen Nachmittag trennen. KeYNamM, der König vom Unland und ich werden mit den Grenztruppen die Flüchtenden bis zur Grenze des Imperiums verfolgen und ihr, ihr kehrt unter Führung von Yufayyur, meines treuen Sohns und Ikken, den Sohn König Gayas zur Kasbah des Wüstenkönigs zurück, um dort den verdienten Lohn zu empfangen.“

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18 Yufayyurs Klan



Ikken fror im kühlen Luftzug. Er fischte nach der leichten Decke, die er im Schlaf weggestrampelt hatte und zog sie über den Kopf. Doch nach einem Moment schob er sie wieder soweit zurück, dass er sich umsehen konnte. Wo war er?

Graues Dämmerlicht drang durch Öffnung am Kopfende des Bettes auf dem er lag. Mit dem Licht strömte kühle Luft in das Zelt und strömte durch die Zeltöffnung am Fußende heraus. Er setze sich auf. Er war nicht allein. Neben im lag Yufayyur mit dem Rücken zu ihm, völlig nackt, d.h. nicht völlig, denn der Zipfel der Decke, die sich beide geteilt hatten, bedeckte seine Körpermitte. Als er genauer hinsah, bemerkte er die Gänsehaut auf dem Rücken seines Freundes. Er drückte sich ganz dicht an ihn, zog die Decke über sie beide, legte seinen Arm um ihn und versuchte ihn aufzuwärmen. Yufayyur regte sich, wachte auf, drehte sich herum und sah Ikken mit seinen großen dunklen Augen an.

Ikken hatte jetzt zum ersten Mal Gelegenheit Yufayyurs Gesicht in Ruhe zu betrachten, ohne dass das durch den grauen Tugulmust, das Mundtuch, verhindert wurde, das dieser immer zum Schutz vor bösen Geistern trug.

Yufayyur war wirklich schön. Yufayyur war wirklich „Schöner Als Der Mond“ wie der Name besagte. Er staunte. Ohne den dichten Schleier, der nur die Augen freiließ, sah Ikken erst wie schön sein Freund war. Lange Wimpern über den glänzenden, fast schwarzen Augen, darüber dichte Augenbrauen, die beinahe mit dem Haaransatz verschmolzen, dichte schwarze Haare, die bis zu den Schultern reichten. Die Nase war schmal, sehr gerade und der Bartflaum über den weichen Lippen, dunkel wie die Brauen. Ikken verstand jetzt, warum Tarit den jungen Imuhagh fast so liebte, wie seine Lieblingsfrau Tamimt.

Ikken fragte sich, waren es diese Augen, derentwegen er Yufayyur schon auf den ersten Blick gemocht hatte, waren es seine geschmeidigen Bewegungen, seine Höflichkeit, seine Tapferkeit. Er hatte sich in den zwei Jahre älteren Wüstensohn verliebt, heftiger verliebt als je in einen Menschen zuvor. Zu Yufayyur fühlte er sich stärker hingezogen, als selbst zu Hiyya. Erst jetzt fiel ihm auf, dass er Hiyya mehr wie eine Schwester liebte, wie eine neugierige Schwester. Da er sich dessen sicher war, beugte sich Ikken über Yufayyur und küsste ihn auf die Stirn.

Yufayyur lächelte zurück, drehte sich dann auf den Rücken, „Komm her, leg Dich auf mich kleiner König Gaya. Wärme mich, ich friere.“ Ikken krabbelte auf Yufayyur, umarmte ihn und beide drückten sich aneinander und begannen Küsse auszutauschen. Als die Gänsehaut durch ein ungeahnt wohliges Gefühl verdrängt war, fragte Yufayyur, „Willst Du mein Bruder sein, kleiner König?“ Als Ikken nickte, setzte er hinzu, „Zusammen können wir die Welt erobern!“

Und ich?“ tönte plötzlich eine helle Stimme von Zelteingang her „Willst Du mir meinen Bruder wegnehmen oder willst Du mich auch als Bruder?“

Aylal! Aylal!“ Ikken rollte sich von Yufayyur herunter, „Wie habe ich dich vermisst! Warum hast Du uns gestern Nacht nicht begrüßt, kleiner Vogel? Ich habe Dich bei Tamimt gesucht, aber dort warst Du nicht, auch nicht bei ihren Schwestern!“

Yufayyur setzte sich auf und lächelte Aylal an, „Komm her! So also sieht mein kleiner Bruder Aylal aus! Schon fast so groß wie mein Ikken. Und er hat seine hellen Haare, seine blauen Augen und seine kleine Nase, und seine liebliche Stimme. Aylal, ich lieb Dich schon jetzt wie meinen Bruder, komm!“ Er rutschte zur Bettkante und machte Aylal auf Platz auf dem Bett zwischen sich und Ikken. Dann grinste er und begann den Ikkens Bruder zu kitzeln „Und haben Dich meine drei Schwestern verwöhnt kleiner Vogel? Haben sie Dich so verwöhnt wie mich, als ich klein war?“

Aylal wunderte sich, dass Yufayyur nackt unter der Decke lag. Er drehte sich um und tastete nach Ikken. Der war auch nackt. „Habt ihr gar nichts an? Muss ich auch mein Hemd ausziehen, damit ich euer Bruder sein kann?“ Ohne auf die Antwort zu warten, zog er sein Hemd über den Kopf.

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In der Morgensonne saßen sie die drei vor dem Zelt von Yufayyurs Mutter, der Ältesten und Weisen Frau des Klans. Sie war die Klanälteste, aber nicht auf Grund ihres Alters, sondern weil sie auf Grund der Weisheit mit dem sie Klan führte. Sie aßen lauwarmen Hirsebrei mit Fingern aus einer großen Pfanne. Erst jetzt fiel Aylal auf, dass KeYNamM nicht dabei war. „Wo ist KeYNamM-baba! Wo ist Tarit? Tamimt, Lunja und Dihya fragen schon dauernd nach ihnen. Auch Tarits kleine Söhne wollen endlich, dass sie ihr Baba auf den Arm nimmt!“

KeYNamM und Tarit? Sie verfolgen mit den Grenztruppen die Reste von Areksims Armee. Sie hetzen sie bis zur Grenze des Imperiums. Keiner darf im Reich des Wüstenkönigs zurückbleiben. Wenn das einer will, muss er dem Amenokal ewige Treue schwören.“

Haben Tarits Männer viele der Feinde getötet?“ als die beiden nickten, „Wirklich?“ dann schaute Aylal seinen großen Bruder neugierig an „Und Du Brüderchen? Du hast gelobt nie jemanden zu töten! Du magst noch nicht einmal eine Maus töten, die in die Milch gefallen ist! Du hast bestimmt keinen getötet!“ Als Ikken rot wurde und nicht sofort antwortete, „Oder doch? “

Ikken blickte zu Boden blickte. Daher legte ihm Yufayyur einen Arm über die Schultern, „Ikken musste töten! Er war tapfer. Er musste mich und sich verteidigen. Er war tapfer!“ Dann erzählter Yufayyur stolz von der Begegnung mit Areksims Soldaten beim Siebenziegen Brunnen und schloss den Bericht so, „Er und ich waren nur Späher, wir wollten keinen töten, aber Krieg ist Krieg und da heißt es immer, sie oder wir. Wir mussten uns verteidigen, sonst hättest Du uns nie wieder gesehen!“

Und KeYNamM-baba? Der war bestimmt der Tapferste! War er tapferer als Tarit? Hat er das Reich des Wüstenkönigs gut verteidigt? Hat er Tarit geholfen? Schnell, schnell, ich muss es Dihya, Lunja, und Tamimt alles erzählen, sie warten schon ganz ungeduldig, besonders Tamimt! Sie hat mir verraten, dass sie und Tarit erst richtig heiraten, wenn Tarit mit Baba zurück ist! Das gibt dann ein großes Fest, ein größeres als heute Abend.“ Als Ikken ihn fragend anblickte, schlug er sich auf den Mund „Ich darf es eigentlich nicht verraten! Es ist noch ein Geheimnis, aber Tamimt hat es mir verraten. Der Stamm will eure Rückkehr feiern und die aller Kämpfer. Ganz groß! Bestimmt schon heute Abend.“ Aylal machte eine Pause, „Sollen sie auch eure Hochzeit feiern?“

Wie kommst Du darauf?“ Yufayyur runzelte die Stirn und schüttelte fragend den Kopf?

Heute Morgen wart ihr beide nackt und Du Ikken bist auf Yufayyur gelegen, genau wir ich es gesehen habe, wenn zwei sich lieben! Ätsch! Ich habe auch gehört wie das Bett gequietscht hat!“

Ikken wurde rot, „Na und!“ er zögerte, „Das verstehst Du noch nicht, Aylal. Woher weißt Du das überhaupt, mit dem Lieben?“

Aylal wurde rot, „Du darfst uns aber nicht verraten! Was glaubst Du was meine neuen Freunde und ich nach Einbruch der Dunkelheit machen? Wir schleichen von Zelt zu Zelt und spicken herein!“

Als Ikken erstaunt zu Yufayyur blickte, lachte der „So ist das hier! Ich war damals auch so neugierig. Hier ist doch sonst nichts los!“

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Später führte Aylal die beiden zu den Zelten der drei Schwestern, die im Schatten von knorrigen Akazienbäumen errichtet waren. Im ersten Zelt stillte Dihya gerade ihren kleinen Sohn. Ikken bekam große Augen als sie ihn, Aylal und Yufayyur herein winkte. Der kleine Prinz, so nannte sie ihn, nuckelte geräuschvoll an ihrer Brust und als sie ihn kurz ablegte um ihren Bruder Yufayyur und Ikken zu umarmen, protestierte er laut. „Der ist immer hungrig! Mein Prinz wird später bestimmt genau so stark und tapfer wie sein Vater!“ lachte sie und reichte dem Baby ihre andere Brust.

Ikken wunderte sich über ihr freizügiges Benehmen. In der Stadt würde keine Mutter ihrem Säugling in aller Öffentlichkeit die Brust geben und er musste zugeben, Dihyas Brust war schön. Sie war rund, fest und voll Milch, so voll Milch, dass sie dem Kleinen aus dem Mund rann, als er daran saugte.

Yufayyur wollte beginnen vom Feldzug zu erzählen, doch sie unterbrach ihn, „Warte einen Augenblick bis mein Prinzchen satt ist, lieber Bruder, dann lass uns nach Draußen gehen und uns im Schatten der Bäume niedersetzen. Dort warten bestimmt schon Lunja und Tamimt, denn sie sind genau so neugierig wie ich.“

Die beiden warteten wirklich schon im Schatten der Bäume. Sie hatten dort eine Decke ausgebreitet. Lunjas kleiner Sohn schlief auf ihrem Arm und Tamimt vertrieb sich die Zeit mit Flechtarbeiten. Als Yufayyur sie mit einer Umarmung begrüßte, überfiel sie ihn mit Fragen. „Wann kommen Tarit und der Amestan endlich zurück? Wann kann ich den KeYNamM endlich kennen lernen. Ich warte und warte, denn dein Zweiter Vater Tarit hat versprochen, das wir noch einmal Hochzeit feiern, wenn KeYNamM endlich frei ist und wir alle zusammen sind.“

Ja, die kommen bald, liebstes Schwesterlein! Tarit hat seinem Freund von Deiner Schönheit erzählt und ich wette er hat sich in Dich verliebt, bevor er auch nur einen Blick auf Dich werfen konnte.“

Ikken blickte erst auf Tamimt, dann die beiden anderen Schwestern, „Er liebt nicht nur Dich Tamimt, KeYNamM-baba, unser Vater, liebt euch Lunja und Dihya genau so. Er kann gar nicht erwarten euch zu sehen!“

Jetzt mussten alle drei Schwestern lachen und die älteste reichte Ikken ihren Sohn, „Schau wie schön er ist, dunkelhäutig wie Tarit. Er hat jetzt schon Locken wie Tarit und sonst gleicht er ihm auch!“ Lunja fügte hinzu, „Wer weiß, vielleicht werden unsere nächsten Söhne blond sein wie der Amestan.“ Dann bat sie Ikken und Aylal sich vor ihnen einmal im Kreis zu drehen, klatschte freudig in die Hände. „Seid ihr blond und blauäugig wie er? Ist er auch so hübsch wie seine Söhne? Wenn das so ist, dann freuen wir uns ihm zu begegnen!“

Aber er ist unsere Zweiter Vater, nicht unser richtiger Vater! Er kannte unsere Mutter nicht einmal. Aylal hat sich ihm zum Vater ausgesucht!“

Nein Ikken, Du hast ihn dir zuerst ausgesucht und jetzt liebe ich ihn genau wie Du!“

Kleiner König Gaya, kleiner Vogel! Ich weiß, dass ihr ihn liebt seit ihr ihn zum ersten Mal gesehen habt! Darum habt ihr keinen Augenblick überlegt und ihn gerettet als er in Not war! Ihr seid seine echte Söhne!“ sagte plötzlich eine tiefe Stimme hinter ihnen. Ikken und Aylal drehten sich um und da stand sie, die Klanmutter, die Mutter von Dihya, Lunja, Tamimt und Yufayyur, in einem weißem, weitem Kleid, ihr Aleschu, das Kopftuch, mit goldenen Blättchen über und über verziert und einem Brustschmuck, den Chomeissa, aus riesigen weißen Muscheln. Nach ihr kamen die anderen Frauen des Klans, viele mit Kleinkindern auf dem Arm, und dahinter die kleinen Mädchen und Jungen. Sie umringten den heimgekehrte Yufayyur und seinen Gast Ikken. Auf ein Zeichen der Klanmutter näherte sich ein Diener, setzte ein großes Tablett mit Tee vor die beiden auf die Decke und die Klanmutter setzte sich zu ihnen nieder.

Jetzt erst bemerkte Ikken, dass die größeren Jungen und die jungen Männer es sich im Schatten der Bäume bequem gemacht hatten. Die Klanmutter suchte die Gruppe ab und winkte dann die fünf jungen Männer heran, die am Feldzug teilgenommen hatten.

Als das Gemurmel der Unterhaltungen nicht sofort verklang, richtete sich die Klanmutter auf und befahl den Versammelten mit einer weit ausholenden Geste Ruhe. Dann wandte sie sich an ihren Sohn, seine Mitstreiter und an Ikken „Wir danken Dir mein tapferer Sohn und allen deinen Mitstreitern! Wir danken Dir Ikken, Sohn des Königs Gaya, der, obwohl noch so jung, keinen Kampf gescheut. Eure Tapferkeit hat den Feinde vertrieben, die Söldner des Imperiums, die auch uns knechten wollten. Ihr seid alle heil zurückgekommen und habt bewiesen, dass die Wüstensöhne auch den überlegenen Feind in die Flucht schlagen können.“

Diese Lobpreisung sprach sie feierlich und ohne einmal Luft zu schöpfen. Dann hielt sie kurz inne, um den Anwesenden die Bedeutung ihrer Wort klar zu machen und schloss, „Jetzt sprecht meine Söhne, erzählt uns alles über den Kampf und den Sieg!“

Yufayyur strahlte und begann mit der Schilderung des Feldzuges. Er schilderte die Ereignisse so anschaulich, dass alle die Kämpfe miterlebten. Ikken ergänzte das Geschehen aus seinem Blickwinkel. Für den Jungen, der sein bisheriges Leben fast vollständig in der Stadt verbracht hatte, war die Begegnung mit dem Wüstengeist ein besonders Erlebnis. Vor Aufregung zitternd, erzählte er wie Kel Essuf sie als Sturmwind geweckt hatte und von den Rosen, die er ihnen schenkte. Dann verbeugte er sich tief vor der Großen Mutter, „Dir Weise Mutter und allen Müttern ein Gruß von Kel Essuf, dem der Gutes schenkt, denen die ihn fürchten. Glück, Gesundheit und Freude werden sie dem Klan bescheren!“

Während Mittagshitze zogen sich alle in die Zelte zurück, in denen der Durchzug vom Vorder- zum Hintereingang für etwas Erfrischung sorgte. Ikken und Yufayyur warfen sich müde vom überstandenen Feldzug und dem anstrengenden Morgen auf das niedrige Bett und wachten erst auf, als die Sonne hinter den Sanddünen versankt.

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Es war weder die Sonne, noch der Durst, noch der Hunger der sie gegen Abend aus dem Tiefschlaf holte, sondern der eintönige Rhythmus einer Trommel, die den Saiteninstrumenten den Rhythmus vorgab. Er lockte Ikken und Yufayyur zum Versammlungssatz am Brunnen. Dort hatten sich die Mitglieder des kleinen Klans fast vollständig in einem Halbkreis versammelt. Mütter mit ihren Säuglingen an der Brust hockten auf der sandigen Boden vor den Bäumen. Zahnlose alte Frauen kauerten dort, Geschichten längst vergangener Zeit austauschend. Halbwüchsige Burschen versuchten jüngere Mädchen aus der Reserve zu locken. Diese spielten die unnahbaren Jungfrauen, warfen aber geschützt vom geschmückten Kopftuch dem Aleschu, dem einen oder dem anderen von ihnen vielversprechende Blicke zu. Die Kinder hatten ihre Spiele eingestellt und lauschten dem Gesang und der Musik.

Die Instrumente wurden von Frauen gespielt. Sie wurden angeführt von einer eine weißhaarige Alten, die mit eine große Trommel den Takt vorgab. Das Instrument war aus einem alten Hirsemörser hergestellt, der mit einer Ziegenhaut bespannten war. Auf der Trommel ahmte sie den Rhythmus galoppierender Pferde. Neben ihr hockten zwei noch ältere Frauen und entlockten den einsaitigen Fiedeln klagende Laute. Die Klagelaute überdeckten die weichen Töne der dreisaitigen Laute, einer Tahardent, die ein junges Mädchen schlug. Über allem schwebte der sich gleichförmig wiederholender Gesang der übrigen Frauen, der ab und zu von schrillen Trillern und spitze Jodler unterbrochen wurde.

Beim Anblick so vieler Frauen und Mädchen fühlte sich Ikken zunächst verloren und suchte im Halbdunkel Yufayyurs Hand. Dabei erblickte er die Männer, die im Hintergrund im Kreis um ein niedriges Feuer saßen, über dem sich geschlachtete Ziegen am Spieß drehten. Die jungen Männer, von denen fünf unter Yufayyurs Führung am Feldzug teilgenommen hatten, sah er erst, als sein Freund ihn ins Dunkle unter die Bäume zog. Hier hatten sie schon ungeduldig auf die beide gewartet. Zur Feier des Tages trugen sie weiße, lange Überkleider, die im schwachen Licht des Feuers hin und wieder aufblitzten.

Als Yufayyur und Ikken eintrafen, mussten sie sich an der Spitzte der kleinen Gruppe stellen. Langsam und würdevoll schritten die jungen Männer durch eine Lücke in der Kette der Frauen und formierten sich davor zu einem Kreis, in dessen Mitte Yufayyur und Ikken treten mussten.

Das rhythmische Klatschen der Frauen, das zuvor nur schwach zu hören war, schwoll an, ihre schweren Armreifen klapperten im Takt und eine raue Stimme hob an zu singen. Sie gehörte einer Frau, die wie eine Statue neben den Musikerinnen stand. Es war Yufayyurs Mutter, die Anführerin des Klans. Ikken verstand den Dialekt der Wüstensöhne nur ungenügend, aber aus den wenigen Worten, die er verstand, erriet er, dass die Klanmutter von einem Falken sang, der über einem Löwenrudel kreiste, sich dann tollkühn auf den Rudelführer stürzte, sich auf dessen Kopf festkrallte und ihm mit seinem scharfen Schnabel die Augen aushackte. Nach jeder Strophe des Liedes erklangen Triller, die Fiedeln schrillten auf und die Laute behielt den Grundton bei. Ikken verstand, sein Freund Yufayyur war der Falke.

Die jungen Männer folgten dem Rhythmus der Trommel. Sie umrundeten ihren Anführer Yufayyur einmal schwerfällig wie müde Reittiere, dann wieder leichtfüßig wie junge Fohlen, dabei schwangen sie ihre langen Messer, als würden sie unsichtbare Feinde angreifen. Tanzten die jungen Männer links herum, dann bewegten sich Yufayyur und Ikken rechts herum. Am Ende jeder Strophe, wenn die schrillen Triller zum Nachthimmel aufstiegen, begannen sich die Tänzer um ihre eigene Achse zu drehen. Dabei flatterten die weiten Oberkleider. Je schriller die Triller erklangen, desto schneller drehten sich die Tänzer. Am Beginn jeder neuen Strophe begann der Kreistanz aufs Neue, aber diesmal bewegten sich die Tänzer in die entgegengesetzte Richtung wie bei der vorherigen Strophe.

Während die jungen Männer im Kreis tanzten, begann Yufayyur zunächst rhythmisch auf den Boden zu stampfen. Mit den Füßen kickte er den Sand hoch und imitierte so ein galoppierendes Pferd. Der feine Sand wirbelte über den Boden, wie der Sand im Sturmwind über die Wüste. Dann begann sich Yufayyur um die eigenen Achse zu drehen, um gegen Ende der Strophe wieder in den Pferdetanz zu wechseln. In den Pausen zwischen den Strophen, wenn die Kreistänzer sich um sich selbst drehen, hängte sich Yufayyur in Ikken ein und sie tanzten langsam im Kreis. Während den ersten Strophen hatte Ikken Mühe Yufayyurs Tanzschritte zu folgen, aber nach der dritten oder vierten Strophe bewegte er sich so leicht im Rhythmus der Trommel, wie eine Feder.

Als die Saiteninstrumente nach dem ersten Tanz kurz aussetzen, blieben die Tänzer auf der Stelle stehen, um nach ihrem erneuten Erklingen, ihren Tanz in anderer Formation fortzusetzen. Nun reihten sich auch die Männer, die nicht am Feldzug teilgenommen in den Kreis ein und die fünf Teilnehmer am Feldzug gegen die Truppen des Gouverneurs traten in die Mitte des Kreises zu Ikken und Yufayyur. Da alle mit ihren Dolchen während des Tanzes nach imaginären Feinden stießen, wurde Ikken nervös, schließlich wollte er KeYNamM unverletzt wieder sehen. Die Männer hatten jedoch den Tanz so oft vorgeführt, dass niemand verletzt wurde. Nach dem dritten Tanz, löste sich der äußere Kreis ganz auf und alle Männer, alte und junge, stampften wie Reittiere, wirbelten den Sand auf, drehten sich wie Windhosen um ihre eigene Achse und verbeugten sich als die letzte Strophe verklungen war vor den Musikerinnen, den Sängerinnen und besonders vor Yufayyurs Mutter, der Dorfältesten.

Dann begannen die Frauen das gebratenes Fleisch zu verteilen, brachten Fladenbrote, Datteln und Feigen, reichten den Frauen Tee, den Männern Palmwein und den Kindern mit Honig gesüßtes Wasser. Yufayyurs Mutter nahm Ikken in den Arm und führte ihn etwas abseits und reichte ihm ein ausgesucht gutes Stück Fleisch. „Ich danke unseren Schöpfer, das er Yufayyur so einen Freund geschenkt hat. Jetzt weiß ich, warum ich nach Beginn des Feldzuges alle Angst verlor und wusste, das mein Sohn, der zukünftige Führer unseres Klans unversehrt zurückkehren wird. Du bist wirklich der Sohn Gayas, wenn ich Dich sehe, weiß ich, dass Du den Imuhagh und den Menschen am Draa Frieden und Glück bringen wirst.“

Ikken war so müde, dass er die Worte der Weisen Frau nur halb verstand, aber er verbeugte sich tief, „Mutter?“ fragte er, „Mutter? Kannst Du auch meine Mutter sein? Einen neuen Vater habe ich schon! Es ist KeYNamM, aber meine Mutter ist schon so lange tot, dass ich sie nur noch als Traumgestalt kenne.“

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Authors Note:

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And I would like to add, thanks for reading.

My other stories posted in Nifty are in English: Buzzards, Hawks and Ravens (in progress), Chances for Changes, Ran-Dy Va-Mp Visits His Friend, Terry and Sam, A Christmas Story and the first chapters of the story called “Sun Quest”

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