9 Raub der Kristalle



Tarit eilte auf den schmalen Pfad vom Bergrücken ins Tal. Bevor er in den Hohlweg einbog, drehte er sich nochmals um und winkte Ikken zu. Er hatte KeYNamMs Sohn schon nach den zwei Tagen lieb gewonnen und verstand warum sein Freund den fremden Jungen aus der Stadt Tinghir als Sohn angenommen hatte. Seine zwei Söhne waren noch kaum drei Wochen alt und ihm noch fremd. Er hoffte nur, dass sie in Ikkens Alter auch so klug und furchtlos wären wie dieser und er sie so lieben würde, wie sein Freund Ikken und Aylal.

Am Ende des Hohlwegs wartete seine kleine Truppe auf ihn, zwölf erfahrene Wüstensöhne. In Gruppen von jeweils zwei oder drei hatten die Imugah während der letzten Tage erst das Unland und danach das Grenzland auf wenig benutzten Pfaden durchquert. Zur Tarnung hatten sie das lange Übergewand der Wüstenreiter mit dem kürzeren Hemd der Bewohner des Imperiums vertauscht und den Gesichtsschleier mit einem Turban verdeckt. Mit ihren langen Haaren sahen zwar immer noch nicht genau so aus, wie Männer aus dem Imperium, konnten aber als Bewohner des Grenzlands durchgehen.

Tarit spornte seine Truppe an. „Am nächsten schmalen Pfad, der auf diese Straße mündet, liegt die Kristallmine. Das werden wir an der Schranke erkennen, die den Zugang von der Landstraße zur Mine und dem Straflager versperrt. Wir reiten auf der Landstraße weiter bis zum nächsten Seitental, verstecken dort unsere Pferde, ruhen uns aus und warten die Dunkelheit ab. Bei Beginn der Nacht, reiten wir zurück zur Landstraße, legen einen Hinterhalt in dem Eichenwäldchen an, durch das sie führt, bevor sie auf die große Straße aus dem Grenzland in die Stadt mündet. Zwei von euch müssen bei den Pferden bleiben.“ Er musterte die zwölf, dann deutete er auf den Ältesten und den Jüngsten. „Ameqran, Du hast die meiste Erfahrung. Auf Dich kann ich mich verlassen, wenn mir etwas passieren sollte. Du bleibst mit Usem bei den Pferden.“ Dann wandte er sich zu dem Jüngeren, „Usem, Du bist schnell wie der Blitz und hast Ohren wie ein Wüstenluchs. Du lauerst am Hügel, von dem aus du das Wäldchen und die Straße überblicken kannst. Sobald Du etwas Ungewöhnliches entdeckst, verständigst Du mich oder Ameqran.“

Wenn ich Reiter auf der Straße sehe, dann verständige ich Dich, Prinz Tarit. Wenn ihr in Schwierigkeiten kommt, laufe ich zu Ameqran und hole ihn und die Pferde.“

Vergesse aber auch nicht Ameqran und die Pferde zu holen, wenn unser Coup erfolgreich war.“ mahnte Tarit.

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Schon kurz nach Mitternacht spürte Tarit an den schwachen Erschütterungen des Bodens, dass ein Trupp eilig auf das Wäldchen zugeritten kam. Er spürte die Annäherung der Kavalkade viel eher als er den Hufschlag der Pferde vernahm, da der vom Sand der Straße gedämpft wurde. Er gab das abgemachte Alarmzeichen und jeweils fünf seiner Soldaten nahmen links und rechts der Straße ihre Position ein.

Hinter einer Biegung der Landstraße, an der die Eichen eine dichten Baldachin über diese bildeten, hatten die Imuhagh ein Seil in Brusthöhe von einer Straßenseite zur anderen gespannt. Das starke aber dünne Seil waren in der Dunkelheit fast unsichtbar. Als das Pferd mit dem Leutnant, der die Kavalkade mit der Kristallausbeute des letzten Monats anführte, kurz vor dem straff spannten Seil war, schnaubte der Braune kurz auf und wollte stehen bleiben. Der Leutnant verstand die Warnung nicht, gab dem Pferd die Sporen. Es galoppierte los und stieß hart gegen das Seil stieß. Der plötzliche Ruck schleuderte den Leutnant Kopf voraus in den Sand der Straße. Die Pferde der beiden hinter ihm reitenden Begleitsoldaten stiegen erschrocken hoch, warfen ihre schläfrigen Reiter ab und büxten aus. Der Leutnant lag noch betäubt im Sand, als die Imuhagh mit Gebrüll aus ihren Verstecken beiderseits der Straße stürmten. Die einen bemächtigten sich der beiden Maultiere, die die Säcke mit Kristallen trugen, die anderen fesselten die abgeworfenen Soldaten und rissen die Begleitsoldaten, die hinter den Maultieren geritten waren, von ihren Pferden und banden ihnen die Hände auf den Rücken. Das Pferd des Leutnant, das gegen das gespannte Seil galoppiert war, tobte, machte auf der Hinterhand kehrt und galoppierte, bevor es eingefangen werden konnte, die Landstraße zurück zur Kristallmine.

Bevor der Leutnant wieder richtig bei Besinnung war, fesselten ihm Tarit die Hände auf dem Rücken. Dann wurde er mit den anderen Begleitern des Kristalltransports an den Waldrand geführt, in sitzender Stellung an Bäume gefesselt und ihrem Schicksal überlassen.

Während des gesamten Überfalls wechselten die Imuhagh kein Wort miteinander. Als Ameqran und Usem mit den Pferden auftauchten, machte sich die kleine Truppe ohne Verzögerung auf den Heimritt. Vorher jedoch teilten sie die geraubten Kristalle in kleinere Portionen auf, damit sie diese, ohne Aufsehen zu erregen, mit zurück ins Reich der Wüstensöhne nehmen konnten.

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Schon wenige Stunden später wurde der Gouverneur aus dem Schlaf gerissen. Der Stadthauptmann polterte in sein Schlafzimmer, „Der Kristalltransport wurde überfallen. Die Ausbeute des Bergwerks von mehr als einem Monat wurde geraubt, die Wachen gefesselt .......“

Der Gouverneur ließ ihn nicht aussprechen, „Was zum Donnerwetter? Was sagst Du?“ Dann begriff der Gouverneur erst! Räuber hatten das Imperium bestohlen! Den Imperator! Ihn den Gouverneur! „Hast Du die Räuber noch nicht? Nichtsnutz! Los! Los , such sie, fang sie, schlachte sie ab, aber bring die Kristalle zurück!“

Der Stadthauptmann kannte das Temperament des Gouverneurs, „Es war eine Bande Imuhagh. Sie waren als Bauern verkleidet, haben aber die Sprache der Wüstensöhne gesprochen! Die sind bestimmt schon im Unland und morgen gewiss in der Wüste verschwunden. Wenn sie erst im Sandmeer untergetaucht sind, bekommen wir sie nicht mehr.

Das war jedoch nur die erste Unglücksnachricht dieses Morgens. Kaum hatte sich der Stadthauptmann mit einer Suchmannschaft auf die Verfolgung der Imuhagh gemacht, als der Kommandant des Kristallbergwerks in den Palast des Gouverneurs stolperte, „Das Straflager bei der Kristallmine wurde überfallen. Die Umzäunung niedergebrannt, sieben Wachen erschlagen und ein Dutzend schwer verletzt. Allen Strafgefangenen gelang der Ausbruch. Die sind alle frei Gouverneur, die harmlosen Gefangenen sowohl als auch die gefährlichen, die Schwerverbrecher!“

Gouverneur Gwasila, der dabei war mit einem reichlichen Frühstück seine Wut zu besänftigen, blieb der Knochen der Lammhaxe im Halse stecken. Puterrot im Gesicht stürzte er sich auf den Kommandanten, würgte ihn und begann ihn zu schütteln. „Deine Schuld! Das ist Deine Schuld, einzig und allein! Das wirst Du mir büßen! Nicht fähig auch nur die kleinste Aufgabe richtig zu erfüllen! Ich lass Dich ins Gefängnis werfen! Du Unfähiger! Und Dir habe ich den Posten zugeschanzt!“ brüllte er und setzte hinzu, „Die Kristallausbeute des letzten Monats verloren und keine Gefangenen mehr, die den Verlust wettmachen könnten! Wie bringe ich das dem Imperator bei?!“

Nachdem sich Gouverneur Gwasila etwas beruhigt hatte, begann er zu überlegen wie er seinen Kopf retten könne, nicht nur den Kopf, nein auch sein Amt und seinen Reichtum. Noch am selben Tag brach er zur Hauptstadt des Imperiums auf, um den Imperator seine Version von den Vorfällen zu schildern. Er musste die Schuld an dem Debakel auf den Schultern des Kommandanten der Mine abladen. Während des gesamten Ritts zur Hauptstadt überlegt welche Version der Ereignisse seine Unschuld und die Schuld des Kommandanten beweisen könnte. Er war das Unschuldslamm, das stand fest, und der Kommandant, der unfähige Tölpel. Das war die Wahrheit und davon musste er den Imperator überzeugen.

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10 Gwasilas Entschluss



In der Hauptstadt erwartete Gwasila der nächste Schock. Die gesamte Stadt war in Aufruhr. Schon am Stadttor hörte der Gouverneur die Nachricht. „Der Imperator liegt im Sterben!“ sagte einer. „Der Imperator ist tot!“ berichtete ein anderer. Gwasila versuchte mit seiner kleinen Kavalkade zum Palast vorzudringen. Das war fast unmöglich. Eine so große Menge an Menschen, wie er sie zuvor nie gesehen hatte, drängte zum Palast. Wie Wogen bei Hochwasser drängten der Menschenstrom vorwärts und wenn der er an einer Kreuzung zur Ruhe kam, dann lag das nur an den Klageweibern, die dort knieten und mit ihren schrillen Schreie und klagenden Geheule die Tauben von den Dächern scheuchten und die Ratten von Straßen vertrieben.

Was war geschehen? Gouverneur war irritiert! Er fragte den einen und den anderen, jedoch keiner wusste Genaues. Er drängte sein Pferd durch die Menge, er benutzte sogar seine Reitpeitsche, um seinem Pferd einen Weg zu bahnen, kam aber kam nur im Schneckentempo vorwärts. Endlich, gegen Sonnenuntergang, stand er auf dem Platz vor dem Palast des Imperators. Aber weder er noch ein anderer kam zum Tor vor. Es war unmöglich den den dichten Ring der Palastwachen zu durchbrechen, auch wenn er noch so heftig mit seiner goldverzierten Legitimation als wedelte, die ihm als Gouverneur besondere Rechte gab.

Am Ende half sie ihm aber doch. Ein herbei gerufener Leutnant beruhigte ihn, „Der Imperator ist nicht tot! Der Imperator, Gott schütze und erhalte ihn, ist bei der Jagd von einem Leoparden angefallen worden. Unser unbesiegbarer Imperator hatte den Leoparden in die Enge getrieben. Gerade als das riesigen Leopardenmännchen unter seinen Arganbaum gestellt und mit der Lanze den Gnadenstoß versetzen wollte, sprang dessen Weibchen aus dem Astgewirr und riss unsern hohen Herrn vom Pferd. Er stürzte und noch bevor seine Jagdbegleiter ihn schützen konnten, hatten sich die beiden Tiere in ihm verbissen. Die teuflischen Bestien büßten den Angriff mit dem Tode, aber unsere Herr trug auch Wunden davon. Zurück im Palast entzündeten sie sich die Wunden jedoch und keiner seiner Heiler konnte ihm helfen.“ Der Leutnant mahnte Gwasila, bevor er ihm wegschickte, „Betet Gouverneur, betet für den Imperator! Betet, dass unser lieber, gnädiger Herr wieder gesund wird.“

Zwei Tage später hatte das Fieber der Gouverneur dahingerafft. Was sollte Gouverneur Gwasila nun machen? Er konnte dem Imperator nun nicht mehr seine Version den Ereignissen in der Kristallmine darlegen und alle Schuld dem Kommandanten zuschreiben. Er musste jetzt handeln. Er musste das Problem, nein beide Probleme, die Befreiung der Strafgefangenen der Kristallmine und den Raub der kostbaren Kristalle, in Eigeninitiative lösen und zwar auf eine Weise, die dem neuen Imperator seine Fähigkeit und seine Unersetzlichkeit bewiesen.

Bedrückt floh er vom Hof, aber schon auf dem Heimritt entwickelte er einen Plan, wie er den neuen Imperator von seinen Fähigkeiten und seinem Mut überzeugen konnte. Er musste die geraubten Kristalle wieder beschaffen, koste es was es wolle! Er musste schnell handeln. Er musste schneller sein als die Soldaten vom Hof des Imperators, er musste mit einem Heer ins Territorium der Imuhagh vorrücken und die Schuldigen bestrafen. Ja, vielleicht gelänge es ihm sogar das Imperiums bis ins Feindesland ausdehnen und gleichzeitig das Unland dem Imperium angliedert. Und die Gefangenen, die würde er auch bald wieder eingefangen haben.

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Gouverneur Gwasila war sich bewusst, dass ein Feldzug gegen die Wüstensöhne einen erfahrenen Feldherrn brauchte, einen erfahrenen Feldherrn, der auch einen Feldzug durch die Wüste führen könnte! Er selbst traute sich natürlich die Führungsrolle zu! Aber musste er wirklich die Unbequemlichkeiten und vor allem die Gefahren eines Feldzugs auf sich nehmen? Und wenn der Feldzug schief ging, die Blamage? Nein er musste einen erfahrenen Feldherrn finden. Da fiel ihm der alte Feldhauptmann Areksim ein.

Feldhauptmann Areksim, der alte Luchs, war ihm noch etwas schuldig, nicht nur einen kleinen Gefallen, nein! Schließlich hatte er dem Feldhauptmann den Kopf gerettet, nicht nur einmal. Areksim war ein Raufbold, ein Mörder, ein Weiberschänder. Die Feldzüge hatten ihn verroht. Zu Hause duckte er sich unter den Pantoffel seine Frau Tudatt, aber wenn er ins Bordell ging, und das tat er jede mindestens Woche zweimal, wurde er zum Tiger und wehe ein Mädchen unterwarf sich nicht seinen Wünschen. Er hatte schon zwei Hurenweibern den Bauch aufgeschlitzt und einer die Brüste abgeschnitten! Keine von ihnen hatte überlebt und er, der Gouverneur, musste die Morde vertuschen, um den Freund zu schützen. Der alte Luchs Areksim war der richtige. Er sollte das Expeditionskorps in die Wüste führen.

Aber welches? Die Soldaten des Imperators konnte er nicht ohne dessen Einwilligung in den Kampf schicken, außerdem warten nur wenige Soldaten in Tinghir stationiert. Blieb nur noch eine Privatarmee, eine Armee ?von Söldnern. Wer konnte ihm da helfen, Wer konnte für den Feldzug Geld zur Verfügung stellen? Er brauchte nicht lange nachdenken. Natürlich seine drei dicksten Freunde, die beiden Dicken, der Bordellbetreiber und der Getreidehändler und der Dürre, der bartlose Kaufmann, der Schmuggelkönig. Der war für dass Vorhaben besonders wichtig, denn er, d.h. seine Späher kannte alle Wege durch die Wüste, auch den zur Kasbah des Amenokal. Die drei mussten das Geld für den Feldzug vorstrecken, die Söldner würden seine Geheimpolizisten schon rekrutieren.

Der Gouverneur hatte Glück. Areksim war glücklich seiner Frau einige Wochen entrinnen zu können und als er die drei Kaufleute zu einer Besprechung einlud, konnten die nicht umhin, seinen Vorschlag anzunehmen, Geld gegen die Gelegenheit die Klans der Wüstensöhne auszurauben? Natürlich ließen sich die Drei nicht freiwillig auf den Handel ein, aber als Gwasila mit dem Zeigefinger auf die Kladde vor sich auf seinem Tisch zeigte, willigten sie ein. Kladden in denen die Sünden der Vergangenheit aufgezeichnet sind, haben etwas Zwingendes. Wer weiß schon genau welche Geheimnisse dort aufgeschrieben sind? Außerdem winkten dem Zuhälter der Zugriff auf die jungfräulichen Töchter der Wüstensöhne, dem bärtige Kaufmann das Monopol über den Getreidehandel bis tief in den Süden und dem hagere Schmuggelkönig die Zollhoheit über die alle Wüstenrouten.

Das Glück blieb dem Gouverneur weiter treu. Als er den Erfolg der Gespräche, besser Erpressungen, am Abend mit Feldhauptmann Areksim und den drei Kaufleuten im Bordell feierten, trafen auf sie einen Bekannten, einen ihnen wohlbekannten Bekannten, sie trafen auf Udad, den Herrscher der Kapo.

Endlich wieder frei! Udad und seine Helfer feierten schon seit Tagen ihre geschenkte Freiheit im Bordell. „Endlich richtige Weiber und keine engen Jungenärsche!“ rief Udad dem Gouverneur übermütig zu, wohl wissend, dass auch der Gouverneur erpressbar war. Der hatte jedoch die richtige Antwort bereit, „Du und Deine Freunde schulden dem Imperator mindestens noch 100 Jahre. Ich streiche dir und ihnen die Schuld, aber dafür hast Du und deine Kapo das Privileg Unterführer in Areksims Expeditionskorps gegen die Wüstensöhne zu werden.“

Nach kurzem Überlegen, schlug Udad ein und in den nächsten zwei Wochen rekrutierten er und Helfer des Gouverneurs die erforderlichen Teilnehmer am Feldzug. Zugegeben, die zusammen gewürfelte Truppe bestand nicht nur aus erfahrenen ehemaligen Soldaten, sondern auch aus entkommene Sträflinge, einfältigen Bauernburschen und anderen junge Männer, die sich vom Feldzug Abenteuer und Reichtum versprachen. Für die militärische Ausbildung der Söldnertruppe wurde nur eine Woche angesetzt, mit Drill am Tage und Bordellbesuch am Abend. Diese Art von Ausbildung war ganz nach dem Geschmack der Angeheuerten.

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