USUAL DISCLAIMER

"GERECHTE UNTER DEN VOLKERN" is a gay story, with some parts containing graphic scenes of sex between males. So, if in your land, religion, family, opinion and so on this is not good for you, it will be better not to read this story. But if you really want, or because YOU don't care, or because you think you really want to read it, please be my welcomed guest.

GERECHTE UNTER DEN VOLKERN von Andrej Koymasky © 2011
am 21. Mai 2004 geschrieben
Deutsche Übersetzung: Mario Mosa
KAPITEL 6
NOVEMBER 1943

Wolfgang und sein Vater saßen zu Tisch, als der Telefon klingelte. Etwas erregt, ging der Vater ans Apparat. Wolfgang hörte seine Stimme im anderen Zimmer laut und gewaltig protestieren, mit Sätzen wie "So etwas dürfet ihr nicht an mir machen!" und "So haltet ihr eure Versprechen!" u.ä. Er fragte sich, was los wäre.

Der Vater kam wieder zum Tisch mit schwarzem, verärgertem Ausdruck.

"Was hat sich passiert, Vater?" fragte ihn Wolfgang.

"Man hat mir mitgeteilt, daß du morgen den Befehl bekommen wirst, du mußt vor dem Kommando einrücken, um in die Wehrmacht eingezogen zu werden! Man hatte mir versprochen, du würdest nicht einberufen. Aber sie sagen, die Situation ist verändert und unsere Wehrmacht benötige neue Männer...".

Wolfgang spürte die ganze Welt auf sich stürzen: wie könnte er jetzt Thaddäus' Problem lösen? Das Überleben des Jungen kam jetzt völlig auf ihn an. Und jetzt mußte er zum Krieg! Was konnte er tun? Ihm sagen, wegzufliehen, sich anderswo zu verstecken? Aber wo? Bei wem? Er dachte an Friedrick, aber r bezweifelte sehr, daß dieser trotz seiner ganzen Freundschaft etwas für Thaddäus zu machen akzeptieren würde. Wer sonst?

"Ich kann nicht hin..." erklärte er schließlich, im Gedanken, auf allen Kosten in Oranienburg bleiben zu müssen.

"Und willst du denn als Deserteur ins Gefängnis geschickt werden?".

"Ich werde mich... in der Dachstube... verstecken" sagte der Junge verzweifelt.

"Und glaubst du, daß es nicht der erste Ort wäre, wo man dich aufsuchen würde? Und das gilt ebenso für unseren Cottage am See und für die Druckerei. Nein, ich bin verärgert, aber du mußt jedenfalls abfahren, es gibt nichts zu tun. Andererseits sind sie klar gewesen: solltest du morgen am Kommando nicht erscheinen, wird man mich zwingen, die Druckerei zu schließen. Dann wirst morgen abfahren".

"Ich kann nicht... ich kann nicht..." stöhnte Wolfgang.

"Und was! Jetzt zitterst du wie ein Weibchen? Wie ein Kind? Du bist vierundzwanzig, sapristi! Was bedeutet, du kannst nicht? Ich werde mal versuchen, daß man dich zur Front schickt, wenn es mir klappt, dich in irgend welches Büro zu schicken... Auch wenn ich nicht hundertprozent sicher bin, daß es mir klappt. Nunmehr ist Berlin voll mit Empfohlenen. Jedenfalls fährst du morgen ab!".

Wolfgang war enttäuscht, zerstört, verzweifelt. Und ausgerechnet die Verzweiflungskraft gab ihm den Mut, das Einzige in seiner Macht zur Rettung seines Thaddäus zu unternehmen.

"Einverstanden, ich werde abfahren, ich werde kein Deserteur sein, aber unter einer Bedingung. Du mußt mir schwören, etwas für mich zu machen. Entweder machst du es, oder ich desertiere und schicke zugrunde und deine Druckerei".

Der Vater schaute ihn überrascht wegen der plötzlichen Launeänderung, die sich in seinem Sohn ergeben hatte. "Was für dich machen? Was denn?".

"Ich verstecke hier einen jungen Juden seit drei Jahren ungefähr. Sein Leben kommt auf mich an. Wenn ich abfahren muß, mußt du mir gewährleisten, schwöre es nur!, daß du dich um ihn kümmerst, du wirst ihn versteckt halten und wirst ihm an nichts mangeln, das er benötigt".

Der Vater riß die Augen auf, seine Gabel halb in der Luft haltend: "Ein Jude! Drei Jahre! Wo? Hier zu Hause oder in der Druckerei?".

"Vorerst schwöre, Vater!".

"Ja... ich schwöre es dir, du Narr! Ein Jude! Wer ist er? Wo versteckst du ihn? Was ist er denn für dich? Ist er nicht vielleicht... dein Liebhaber, jener Jude?".

Wolfgang schaute seinen Vater mit herausfordernder Miene: nunmehr lohnte es sich, knapp und klar zu sprechen: "Ja, er ist mein Bube. Und du auch kennst ihn. Es ist Thaddäus Brenner. Du wirst ihn hier versteckt halten und für ihn Sorge tragen, du hast es geschworen! Du wirst ihn besorgen, so gut wie ich ihn bisher besorgt habe. Für mich ist er viel wichtiger als mein Leben selbst".

"Dein Bube!... Thaddäus Brenner, dein Bube!... Ja, ich erinnere mich an ihn, er war ein schöner Junge, ich muß es zugeben. Also bist du homosexuell, was? Ist er auch so, oder?".

"Ich hätte ihn nie gezwungen, wir lieben uns einander...".

"Drei Jahre!... Hat er dich verführt?"

"Nein, ich bin schwul seit meiner Jugendzeit. Ggflls. habe ich ihn verführt. Du hast geschworen: wenn du dich um ihn kümmern wirst, werde ich morgen abfahren. Du hast es geschworen".

"Ja, ja... ich habe es geschworen. Hat es dir drei Jahre lang geklappt, ohne daß jemand was verdächtige... Aber ein Jude, dann!... einverstanden, er ist sehr schön, aber... Jedenfalls habe ich nichts gegen die Brenner. Aber warum hast du es mir nie gesagt?".

"Nu, weil ich nicht wußte, wie du darauf reagierst hättest. Wie hättest du reagiert, daß ich schwul bin, so wie auch, daß ich einen Juden zu Hause verstecke".

"Ach, wie ich reagiert hätte! Alles in allem, es sind deine Sachen. Wie hätte ich reagiert? Wo hieltest du ihn versteckt?".

"Oben in der Dachstube".

"Na! Also, es war kein Heimweh nach deiner Mutter, das dich hinaufführte, es war gut anders. Und ich habe daran geglaubt, wie ein Idiot!".

"Den wahren Grund konnte ich dir nicht sagen. Du wirst ihm mindestens ein- oder zweimal am Tag zum Essen bringen und nachts, wenn die Diener schlafen, wirst du ihn zur Toilette und zum Waschen begleiten".

"Nu, ich muß sagen, daß schließlich ich dich bewundere, denn drei Jahre lang hast du all das allein tun können...".

"Ich habe ein Alarmsystem aufgerichtet, nachdem ich ihm ein Versteck bereitet habe, wo er sich jene Nacht verbarg, als du heraufkamst...".

"Gut. Dann gehen wir hinauf".

"Nein. Zuerst muß ich ihm allein erklären, was sich jetzt passiert. Heute Nachmittag komme ich nicht in die Druckerei, denn ich will mit ihm bleiben. Nach dem Abendessen wirst du auch herauf. Aber paß auf, mir keinen Streich zu spielen, sonst... Irgend was auch immer dem Thaddäus vorkommt, das ist zweimal schlimmer als mir selbst...".

"Du brauchst nicht, mich anzudrohen: ich habe immer und erst ein einziges Wort gehabt. Ich habe es geschworen, nicht?" sagte ihm der Vater etwas ärgerlich.

"Sollte ihm was vorkommen, spielt keine Rolle, ob deinetwegen oder...".

"Nun hör auf, Wolfgang! Nur falls ich selber ins Gefängnis gehen oder sterben muß, kann ihm dann was vorkommen. Und es ist auch möglich, daß ich hingehen kann, wenn man entdeckt, daß ich einen Juden, außerdem einen Erforschten, hier bei mir zu Hause verstecke. Verstehst du jetzt, daß es mein ganzes Interesse ist, daß ihm nichts vorkommt?".

"Ja, verzeih mich, Vater. Tatsache ist, daß... diese Nachricht übererschüttert hat. Ja, ich vertraue mich auf dich. Auch wenn ich in dir nicht wenige Fehler anerkenne, ist es mir bekannt, daß du ein einziges Wort hast..." sagte ihm Wolfgang mit ersüßtem Ton.

"Gut, Danke, daß du mir gesagt hast, ich habe viele Fehler! Heute werden Eltern nicht mehr respektiert wie einst" sagte der Baron fast belustigt.

"Hast du nie mal gedacht, dein Vater hätte viele Fehler?"

"Ja, sicher, aber ich habe nicht einmal geträumt, es ihm klar ins Gesicht zu sagen, wie du soeben mit mir gemacht hast" lachte der Mann.

Nach dem Mittagessen nahm Thaddäus die hinterbliebene Speisen, legte sie auf einen Teller, verschloß sie in ein Tuch unter seines Vaters ergötztem Blick und ging hinauf zu seinem Buben.

"Wolfgang! Du hattest mir gesagt, du könntest vor heute nacht nicht heraufkommen!" sagte ihm lustig Thaddäus.

"Aber ich habe dir auch nicht gesagt, daß ich bei dir den ganzen Nachmittag bis zur Abendessenszeit halte, mein Schatz".

"Ehrlich? Das ist ja eine erfreuliche Nachricht!" sagte ihm der Junge, ihn umarmend und küssend.

"Nun iß, Thaddäus. Dann muß ich dir eine lange Rede machen" sagte ihm Wolfgang lächelnd.

"Eine lange Rede?" fragte ich Thaddäus, als er versuchte, den Ausdruck seines Freundes einzudeuten. "Etwaige Probleme?".

"Ja, teilweise gelöst. Besorge dich nicht. Jetzt iß ruhig".

"Dein Lächeln ist leicht schattig. Bist du sicher, daß ich nicht brauche, mich zu besorgen?".

"Ich bin ganz sicher. Iß ruhig" sagte ihm Wolfgang, als er neben ihm Platz nahm und ihm ein Bein leicht streichelte.

Nach dem Essen nahm ihn Wolfgang auf seinen Beinen sitzen.

"Hör mal jetzt, Thaddäus, mein Schatz, Wie ich dir gesagt habe, es sind neue Probleme entstanden, aber für ein Teil von diesen habe ich die Lösung gefunden. Der Krieg beginnt, die schlechte Biegung zu nehmen, auch wenn die Behörden es leugnen. Deshalb wird versucht, neue junge Männer zu engagieren, daher muß ich auch morgen beim Gebietskommando erscheinen, um mein Militärtraining anzufangen".

Der Bube schaute ihn anfangs beunruhigt, dann erschrocken an. Wolfgang streichelte ihn zärtlich.

"Höre jetzt noch weiter an, vor dem Erschrecken, Schatz. Also, morgen früh muß ich abfahren; wo man mich hinschickt, habe ich noch keine Ahnung. Daher habe ich mich nur um dich besorgt, für die Zeit meiner Abwesenheit von zu Hause... ich weiß noch nicht wie lange. Du wirst hier in Sicherheit bleiben. Mein Vater hat mir geschworen, er werde sich um dich kümmern, persönlich wird er dir zum essen bringen und dich schützen. Er hat es mir geschworen, er wird sein Wort halten".

"Dein Vater? Hast du ihm von mir gesagt? Auch von uns?" fragte der Junge mit Augenaufreißung.

"Ich hatte keine andere Wahl sonst. Ich weiß, daß ich mich auf ihn verlassen kann. Von keinem der Diener kann ich gleichweise sagen. Ja, ich habe ihm auch von uns gesagt, damit er versteht, wieviel wichtig für mich du bist".

"Und... was hat er gesagt?" fragte der Bube, den Atem fast anhaltend.

"Nichts. Er hat von der Nachricht Kenntnis genommen. Es spielt keine Rolle für ihn, daß du ein Jude bist, daß du mein Bube bist. Mein Vater ist nie ein Mann mit Ideologien gewesen, er ist pragmatisch. Er weiß, daß er zuviel verlieren würde, sollte ich den Militärdienst verweigern. Er weiß ebenfalls, daß er nichts zu verlieren hat, wenn er sich um dich kümmert, vorausgesetzt, daß er vorsichtig ist. Heute abend werde ich herauf mit ihm kommen, ich werde ihm die Benutzungsanleitung des Alarmsystems und deines Verstecks erklären: er muß alles wissen. Verstehst du?

"Ja, alles ist mir klar jetzt. Und wenn du dich auf deinen Vater verlassest, so werde ich mich auch auf ihn verlassen. Andererseits hat er uns nie mißgehandelt, weder uns Brenner noch andere Juden. Aber ich werde dich furchtbar vermißen, und ich werde immer um dich Angst haben. Wird man dich zur Front schicken?".

"Keine Ahnung, aber sei mal ruhig: ich werde mein Bestmögliches tun, um bald zu dir zu kommen. Ich auch werde dich furchtbar vermißen, mein lieber. Und wir können nicht miteinander in Verbindung sein, wenn nicht nur durch meinen Vater. Ich habe an einen Kode gedacht, so daß mein Vater mich verständigen kann, daß es dir gut geht und umgekehrt. Er weiß über den Kode, aber nicht welchen".

"Also verlassest du nicht auch auf ihn?".

"Doch. Aber ich möchte es nicht, daß er nur zwecks meiner Beruhigung mir was verschweiget, daß dir was passiert hat und umgekehrt. Der Kode ist einfach: dir liegt eine Kopie von Schillers Wilhelm Tell vor. Ich werde immer auch eine Kopie mittragen. Wir werden die ersten einunddreißig Seiten benutzen, eine für jeden Monatstag und für jeden Monat eine verschiedene Zeile, von der ersten zur zwölften bei jeder Seite. Der erste Substantiv jeder Zeile wird unser Geheimwort sein, das in unseren Meldungen erscheinen muß. Ist es klar?".

"Ja, es ist klar und einfach" erklärte Thaddäus, der zum Regal ging, das genannte Buch mitnahm, es auf die entsprechende Seite des Monatstags aufmachte und den ersten Substantiv fand: "Tag. Daher soll der erste Satz der Meldung sein: Mir sieht der Tag so fern aus, bis wir uns wiedersehen können, oder was Ähnliches, richtig?".

"Ja, genau. Deshalb, wenn mein Vater mir oder dir diesen Satz sagen wird, dann werden wir wissen, daß es dem anderen gut geht".

"Wird jener Tag wirklich fern sein?" fragte ihn der Bube, als er das Buch niederlegte und im Schoß seines Liebhabers zurücksaß.

"Keine Ahnung, Thaddäus. Aber obwohl er nahe ist, sieht er mir immer zu fern aus. Aber jetzt... komm, mein Schatz, mein Geliebter".

Sie streckten sich nebeneinander auf dem Bett aus und begannen, sich einander zu küssen und zu streicheln, als sie sich allmählich einander auszogen. Sie wußten, vielleicht das wäre ihr letztes Mal gewesen, mindestens für lange Zeit, um sich einander ruhig lieben zu können.

Als ihr Wunsch die richtige Intensität erreichte, bot sich Wolfgang seinem Lieber, der in ihn mit süßer, männlicher Zärtlichkeit eindrang. Während sich Thaddäus in ihm bewegte, küßten sie sich einander weiter, streichelten sich, strahlende Lächeln auseinandertauschten.

Jeweils sie sich derart vereinten, gelang es ihnen, allerlei Lebensschwierigkeiten und -schänden um sie und ihrer Zeiten zu vergessen, denn jeder der beiden war dem anderen ganz gewidmet, um ihm den höchsten Genuß zu schenken.

"Ja, mein Wolfgang, es ist wirklich wunderbar, mit dir die Liebe zu spielen...".

"Ich liebe dich, mein Thaddäus, ich begehre dich soviel...".

"Alles von dir sagt es mir...".

Nachdem Thaddäus die Frucht seiner Liebe und seines Genusses in seinen Liebhaber eingoß, ruhten sie sich eine Weile mit gegenseitigem Austausch süßer Worte, dann kam der Junge daran, sich seinem älteren Lieber zu bieten - und beide vereinten sich wieder einander.

Thaddäus' seliges Lächeln, mit welchem er seinen Freund in sich aufnahm, stieg wie ein Salböl in Wolfgangs Seele. Er nahm ihn mit verzehrender Zärtlichkeit und fragte sich wieder, ob und wenn sie sich mal wiedervereinen und mal wieder zusammen miteinander leben könnten, ohne sich verstecken zu müssen.

Auch Wolfgang gab schließlich all seinen Samen dem Lieber, mit ruhigem, gefälligstem Orgasmus. Sie lagen zusammen, mit süßen Küssen zu einander.

"Ich werde dich unglaublich vermißen, Wolfgang".

"Aber mein Herz wird mit dir bleiben".

"Ja... aber dein schöner, starker Leib wird fern sein. Werden wir mal in Zukunft den Tag unseres Zusammenseins ohne Furcht, ohne Sorgen, ohne Trennungen erleben?".

"Ich fragte es mich soeben. Wir müssen zuversichtlich sein, daß dieser Tag kommt. Wir müssen stark sein, alle Hindernisse überwinden. Nicht wenige davon haben wir überwunden. Wir werden auch die anderen überwinden. Das einzige, das ich bedauere, ist, daß du hier so lange bleiben mußt".

"Ich bin glücklicher als meine jüdischen oder schwulen Brüder, oder als die anderen, in einem KZ gesperrt, die nicht wissen, ob sie lebendig oder nicht herauskommen ... wie es meinen Eltern und meinem Bruder vorgekommen ist... und nicht nur bin ich am Leben, habe deine Liebe. Manchmal habe ich das Gefühl, schuldig zu sein, im Vergleich zu denen, die mein gleiches Glück nicht haben".

"Schuldig, mein lieber? Warum denn? Woran? Welche Schuld kannst du haben? Die Schuld liegt nur an der Grausamkeit, an der Boshaftigkeit derjenigen, die diese Höllstrafen gestiftet haben, nicht an dir...".

"Du hast Recht, und doch... manchmal ist es mir schwer, daran zu denken, daß ich unter den wenigen bin, die dieses Glück haben. Ich kann noch das Leben genießen, aber anderen wird es... grundlos und erbarmungslos abgeraubt".

"Wärst du unter ihnen, würde das ihr Leiden nicht erleichtern. Denkst du z.B. nicht daran, daß deine Eltern mindestens den Trost hatten, dich nicht mitzuhaben, als sie umgebracht wurden?".

"Keine Ahnung. Mein einziger Trost ist, daß sie jetzt im Frieden des Herrn sind. Wäre er noch lebendig, sollte Aaron fünfundzwanzig Jahre alt sein, ein Vierteljahrhundert... Ich habe nicht einmal ein Foto von ihnen. Und auch keinen Grab, auf dem sie zu beweinen. Ich habe nichts mehr übrig auf dieser Welt... abgesehen von dir und deiner Liebe. Ich meine nicht, das sei zu wenig, im Gegenteil, aber wenn ich an sie denke, kann ich nicht schmerzhaft fühlen.

"Ich kannte sie sehr wenig... und doch über dich fühle ich sie etwa wie meine Familie. Hätten wir uns heiraten dürfen, wären sie es, oder?".

"Es ist sehr schön, sehr süß, was du mir sagst. Ja, es ist richtig, sie auch sind ein wenig deine Familie. Hattest du nie daran gedacht? Dies macht meine Bürde etwas leichter, meine Liebe".

Am nächsten Morgen ging Wolfgang vor seiner Abfahrt zu seinem Liebhaber für den letzten Abschiedsgruß.

Der Baron fing an, sich um den Buben zu beschäftigen. Anfangs begrenzten sie sich die beiden auf einem mindestmöglichen Wortaustausch. Wolfgangs Vater machte Thaddäus etwas befangen. Aber schließlich dachte Thaddäus, daß auch der Baron ein Teil seiner Familie war, so wie sich Wolfgang ein Teil seiner verstorbenen Eltern war.

Von Zeit zu Zeit klappte es dem Wolfgang, seinen Vater anzurufen. So erfuhr Thaddäus, daß er dem Gebietskommando mit Sitz in Frankfurt zugewiesen war. Der Junge freute sich, daß er zumindest nicht an der Front war. Dafür hielt er sich für egoistisch, aber... kein Mensch, so stark auch immer er sein kann, ist in der Lage, auf seine eigenen Schulter den Schmerzen der Welt zu übernehmen.

Eines Abends hielt der Baron an, um mit Thaddäus zu sprechen.

"Du siehst sehr bleich aus, denn du mußt den ganzen Tag hier eingesperrt bleiben" sagte er ihm mit bekümmertem Ton.

"Aber mindestens bin noch am Leben, Herr Baron".

"Wer nicht weiß, daß du ein Jude bist, der könnte dich wohl als Arier glauben. Du trägst keineswegs die Merkmale deiner Leute".

Thaddäus schaute ihn an und fragte sich, warum ihm der Baron so etwas sagte und warum er jenen Abend so schwatzhaft war.

"Niemand von meinen jetzigen Dienern kennt dich. Außerdem hat auch mein Fahrer zum Krieg gehen müssen. Kannst du Auto fahren?".

"Ich, Herr Baron? Nein... ich habe nie gelernt. Auf jeden Fall, könnte ich es, trotz meines Aussehens werde ich durch meine Ausweiskarte als Jude gekennzeichnet. Ich dürfte nicht von hier hinaus ohne den Magen David auf meinen Kleidern. Ich bin in der Nachgeforschtenaufstellung...".

"Ja, ja, aber... Ich würde nicht viel benötigen, dir falsche Ausweispapiere zu schaffen, die dich als Arier bekannt geben, mit Änderung deines Vor- und Zunamens. Hätte mir mein Sohn etwas früher von dir gesagt, hättest du nicht hier drin eingesperrt so viele Jahre bleiben müssen".

"Jedenfalls bin ich beschnitten, Herr Baron. Eine mindere Kontrolle würde mich leicht entdecken".

"Auch einige Arier sind beschnitten aufgrund einer Phimose oder irgend welcher Infektion. Es reicht, zusammen mit der Ausweiskarte auch die Erklärung eines Krankenhauses, eines Arztes mitzuhaben".

"Warum denken Sie daran, mich hinauszuführen, Herr Baron?".

"Weil ich meinen Fahrer verloren habe, ich habe es dir soeben gesagt. Und du würdest mir gar nichts kosten. Und wenn du am Sonnenlichte leben kannst... dann könntest du auch mit meinem Sohn reden können, wenn er mich anruft... wärst du nicht daran vergnügt?".

Thaddäus' Gesicht erleuchtete sich. "Und ob! Es würde mich hoch gefallen! Aber, wie ich Ihnen gesagt habe, kann ich nicht Auto fahren".

"Du kannst es lernen. Ich kann dich lehren. Ich kann dir alle nötigen Urkunden schaffen... Du sollst nur eine Geschichte ersinnen, eine glaubwerte Vergangenheit, sollte dir ein von den anderen Dienern oder irgend wer sonst Fragen stellen, aber auch dafür könnte man einen Ausweg finden. Und du könntest normal leben".

"Wie Sie entscheiden wollen, Herr Baron, mir geht es sowieso gut... Sie kennen besser als ich wie es draußen ist. Nur wollen Sie mir sagen, was ich zu tun habe".

"Du? Nichts. Ich denke an alles selbst. Andererseits hat mich mein Sohn gebeten, ich möchte mich um dich kümmern, genauso, wie ob er sich um dich gekümmert hätte... Du solltest nur dein Haar kurz schneiden, so wie es unter jungen Ariern modisch ist. Ich soll dir auch eine Autofahreruniform anfertigen lassen... Und du wirst auch lernen, den Gruß zu machen...".

"Uns Juden ist der Gruß untersagt".

"Aber da du für alle ein Arier wärst, solltest du es logischerweise machen".

"Ja, ich verstehe... aber sollte sich jemand in der Stadt an mich erinnern..., sollte ich anerkannt werden?".

"Niemand sieht dich nicht mehr seit Jahren... du wirst inzwischen Frisur, Bekleidung und Namen geändert haben. Eventuell wirst du dir auch das Haar färben... Das Risiko ist wirklich gering. Niemand wir mehr glauben können, daß ein polizeilich geforschter Jude ruhig herumläuft, problemlos und ohne sich verstecken zu müssen. Du hast eine stolze Haltung, du siehst mir der selbstsicherer Mann aus. Sollte jemand denken, dich anerkennen zu können, müßtest du dich als beleidigt zeigen, oder amüsiert, oder was du willst, aber immer stark leugnen... mit Verachtung".

"Sollte ich denn mein eigenes Blut verleugnen? Mein Volk? Das Gedächtnis meiner Angehörigen?" fragte der Junge mit entrüstetem Ton.

"Nu, siehst du, daß du fähig bist, dich stolz zu zeigen? Nein, sicher nein. Du sollst nur vorspielen, und zwar nur dann, wenn es unbedingt notwendig ist. Erinnere dich ans Sprichwort: die Kutte macht den Mönch. Die Welt ist nur ein Theater: wer, der gut spielen kann, der ist erfolgreich. Wer nicht spielen kann, der ist nur... ein zahlender Zuschauer".

Der Baron machte sich sofort ans Werk. Er konnte alle Papiere schaffen, von denen er gesprochen hatte, einschließlich eines Erklärungsformulars, um ihn wegen Tuberkulose als militäruntauglich zu erklären. Als neuer Name für Thaddäus hatte er "Heinrich Schurz" gewählt, hatte ihn Auto fahren gelehrt, hatte ihn zu einem Berliner Stadtviertel geführt, wo Heinrich Schurz geboren werden sollte, damit der Junge es evtll. ausführlich beschreiben könnte. Über die Vergangenheit des Thaddäus bzw. des "Heinrich" hatten sie eine stichhaltige Geschichte zusammengestellt.

Dem Thaddäus hatte er sogar ein Zimmer im Dienst-Viertel angewiesen. Thaddäus' Leben war plötzlich geändert und viel gebessert. Jetzt aß er am Tisch mit den Dienern, die im Gegenteil zu allem, was er befürchtete, keine Fragerei stellten. Jedenfalls zeigte sich Thaddäus vorsichtshalber sehr zurückgezogen, keineswegs geschwätzig, so daß er sich bald den Ruf eines "Bären" schuf.

Baron von Schlegel hatte nichts seinem Sohn verraten, als er ihn anrief. Insbesondere, weil er sich vor einer Kontrollierung seines Ferngesprächsapparats fürchtete.

Aber eines Tages rief Wolfgang in die Druckerei an, als der Baron den Thaddäus ausrichtete, das Auto mitzunehmen, um einige Geschäfte zu erledigen. Da beschloß der Baron, es war Zeit, seinen Sohn darüber zu verständigen, das geschehen war.

"Ah, Wolfgang, habe ich dir noch nicht gesagt, daß ich einen neuen Fahrer habe?".

"Ein neuer Fahrer? Nein... Wieso?" fragte der Junge etwas überrascht von jener Nachricht.

"Karl ist auch er in die Wehrmacht einberufen worden. Mein neuer Fahrer ist - vielleicht erinnerst du dich wohl an ihn... du hast ihn vor drei Jahren kennengelernt, wenn ich richtig verstanden habe - er heißt Heinrich Schurz... Hatte er dir nicht jenes Buch von Schiller geschenkt? Den 'Don Carlos', oder ein anderes, ich erinnere mich nicht genau daran. Jedenfalls ist er jetzt hier neben mir und will dich begrüßen..." sagte der Baron mit vergnügtem Lächeln und übertrug den Handapparat dem Thaddäus.

"Hallo? Ich bin Heinrich Schurz, der neue Fahrer Ihres Herrn Vaters, mein Herr. Erinnern Sie sich an mich? Vor drei Jahren haben wir uns in Berlin einander getroffen...".

Wolfgang anerkannte unverzüglich Thaddäus' Stimme und verstand, daß sein Vater einen Ausweg gefunden hatte, um ihn gefahrlos von der Villa herauskommen zu lassen, wenn er in der Druckerei mit einem anderen Namen war.

"Heinrich Schurz? Ja, es fällt mir ein, aber ich erinnere mich nicht genau an die Gelegenheit, bei der wir uns kennengelernt haben...".

"In Berlin... Ich hatte zwei Bücher mit: ein von Schiller... und ein von Herrn Müller geschrieben".

"Ach, ja... jetzt fällt es mir ein, ich glaube aber, uns angetroffen, mehr als getroffen zu haben. Wie geht es Ihnen jetzt, Herr Schurz?" fragte er ihn in förmlichem aber lustigem Ton.

"Ganz gut, mein Herr. Besonders jetzt, daß ich für Ihren Herrn Vater den Baron arbeite... Und wie geht es Ihnen?".

"Mir auch geht es ganz gut, ja. Ich freue mich sehr, Sie begrüßt zu haben. Wollen Sie mir bitte meinen Vater wieder einreichen?".

"Augenblick, bitte. Guten Tag, mein Herr".

"Ihnen ebenfalls, Schurz... Hallo? Ja, es freut mich sehr, daß du den neuen Autofahrer hast. Versuch bitte, ihn besser als den anderen zu handeln...".

"Ja, ich werde ihn verdienstgemäß handeln. Er sieht wie ein braver Junge aus".

Nachdem er den Zuhörer anhing, schaute der Baron den Thaddäus an: "Lösche dieses seliges Lächeln von deinem Gesicht weg, Schurz. Alles in allem hast du nur einen gegrüßt, der dir kaum bekannt war..." sagte er ihm vergnügt.

"Danke, Herr Baron... Ich bin Ihnen dafür äußerst dankbar. Sie können es sich nicht vorstellen, was für eine Freude Sie mir geschaffen haben".

"Man kann es sich leicht vorstellen: es reicht, dein Gesicht dummen Trottels zu schauen, das du jetzt hast. Nun geh hin und versuch, nicht zu lange wegzubleiben".

In den wenigen Tagen, als er Autofahrer des Barons geworden war, Thaddäus kam sich darüber im klaren, daß die einzigen in Oranienburg, die ihn anerkannt hatten, die wenigen hinterbliebenen Mitglieder der jüdischen Gemeinheit waren. Als ihn Joachim Hirsch anerkannte, fragte er ihn leise: "Was machst du hier, Thaddäus? Hat man dich freigelassen? Wie sind die Deinigen beendet?".

"Nun heiße ich Heinrich Schurz, offiziell bin arisch und arbeite als Baron von Schlegels Autofahrer. Bitte verrate mich nicht".

"Du sollst es nicht sagen. Glücklich bist du, der als Arier hast aussehen können. Und die Deinen?".

"In Dachau umgebracht. Alle drei".

"Ich bedaure. Ich wußte es nicht. Gut, wenn du als Arier aussiehst, besser daß du nicht zu lange mit mir sprichst".

"Und wie geht es dir, Joachim?".

"Ich überlebe".

"Bist du immer mit Anna?".

"Ja und mit ihren Kindern. Und wir leben immer in der Furcht, eines Tages plötzlich verhaftet zu werden. Nunmehr vermeiden wir uns Juden auch einander".

"Richt ihr bitte einen schönen Gruß aus...".

"Darf ich ihr sagen, daß ich dich getroffen habe?".

"Anna liebte sehr meine Mutter, sie war wie eine Schwester für sie. Aber vielleicht ist es besser, daß du mit ihr von mir sprichst, wenn die Kinder euch nicht hören...: vorsichtshalber: man kann nie wissen".

"Auch sie haben lernen mussen, grabstumm zu sein, armen Kleinen. Viel Glück, Thaddäus!".

"Erinnere dich: jetzt heiße ich Heinrich Schurz..." sagte ihm der Junge mit leichtem Lächeln.

Wenige Tage später traf Thaddäus auch Ruth Heilbronner. Mit ihr auch hatte er ein Kurzgespräch.

"Wie dünn bist du geworden, Ruth..." sagte er ihm, getroffen.

"Es gibt wenig zu essen. Karl kann kaum etwas heimbringen und die Lebensmittelkarten reichen nicht aus. Wenn man den "J" für Juden sieht, wird uns auch das Wenige verleugnet, auf das wir theoretisch Recht hätten. Glücklicherweise arbeitet Karl noch in der Meierei der Miller... Solange es dauert...".

"Geht es gut deinem Mann und der Susanne?".

"Wie mir. Susanne ist sieben jetzt, aber sieht fünf aus, so schlecht ernährt sie ist. Und uns Juden jetzt ist es auch untersagt, Bekleidung aus Wollen oder Pelzmantel zu haben. Und mit der Kälte frieren wir... Man bringt uns allmählich um...".

"Ich möchte gerne etwas für euch machen können...".

"Was kannst du machen, armer, Thaddäus? Versuch nur, zu überleben... Ein jeder von uns muß unter diesen Umständen nur an sich selbst denken. Selig die Deinen, die nicht mehr leiden!...".

"Der Herr wird sich unser erbarmen" sagte ihr Thaddäus schmerzerfüllt.

"Der Herr hat sein Volk vergessen. Er hat seinen Blick von uns abgewandt. Er hat seine Hand von unserem Haupt genommen" sagte ihm die Frau, tief erbittert.

"Nein, nicht er. Wichtig ist, daß wir ihn nicht vergessen" sagte ihr süß Thaddäus.

"Du bist immer viel zu gut gewesen, Thaddäus. Vielleicht deswegen hat dich der Herr nicht vergessen".

"Hast du Nachrichten von den Levine?".

"Man hat sie vor sieben Monaten verhaftet... weil sie in einem Feld einige Früchte gestohlen hatten und der Feldherr hatte sie gesehen und angezeigt. Niemand mehr weiß etwas davon bescheid.

"Auch nicht von den Kindern?".

"Kinder werden als ersten ermordet, weil sie nicht produzieren und nicht als Sklaven verwendet werden können. Kinder und Greisen. Auch deswegen bin ich für meine Susanne terrorisiert. Nunmehr lasse ich sie nicht mehr von Zuhause heraus".

"Ich werden für euch beten, Ruth. Leider kann ich mehr nicht machen. Leider".

"Ja, bete für uns... Nunmehr ist es uns schwer geworden, zu beten, jetzt".

Thaddäus' Herz war schwer. Ach, wäre er nur in der Lage gewesen, was für sie zu machen!

Da machte er sich weiter zum Gebet fort:

Warum hast du, o Gott, uns verworfen auf immer? Warum lodert dein Zorn wider die Schafe deiner Weide? Ps. 74, 1
Denke deiner Gemeinde, die du erworben von alters her. Ps. 74, 2a

CONTINUES IN KAPITEL 7


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(Sorry, I can't speak German... Andrej)